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Leben
© fotolia.com / Gerhard Seybert

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Aus dem Leben eines Autoknackers

Kärnten – In letzter Zeit berichten wir oft über PKW-Einbrüche. Der Prozess dahinter sieht so aus: Die Polizei schickt uns eine Meldung des aktuellsten Vorfalls, wir berichten darüber. Der Gedanke dahinter: PKW-Besitzer sollen dazu sensibilisiert werden, keine Wertgegenstände offen im Auto liegen zu lassen. Doch ein Teil der Geschichte fehlt dabei immer – die des Täters. Wir haben die Meldung der Polizei oder den direkten Kontakt zu einem Geschädigten. Was wir nicht haben, ist die Sicht des Täters. Das ändert sich jetzt. In einem Bericht schildern wir die Vergangenheit eines Klagenfurter Autoknackers, der in ganz Kärnten unterwegs war.

 10 Minuten Lesezeit (1310 Wörter) | Änderung am 21.05.2018 - 18.31 Uhr

Es gibt Meldungen, die ziehen die Aufmerksamkeit unserer Leser stärker auf sich, als andere. Dazu gehören für gewöhnlich Berichte aus dem Alltag der Polizei – also eben auch Autoeinbrüche. Fast jeder besitzt eines, fast jeder lässt es täglich stundenlang unbeaufsichtigt. Der psychologische Effekt dahinter: Das könnte mir auch passieren.

Das sagt die Polizei dazu

Erst vor wenigen Tagen sprachen wir mit Chefinspektor Wolfgang Schifferl, Leiter des Fachbereiches Einbruch im Stadtpolizeikommando Klagenfurt, über das Phänomen PKW-Einbruch. Berichten wir in einem kurzen Zeitraum gehäuft über einen bestimmten Vorfall, erweckt das beim Leser natürlich den Eindruck, die Fälle würden sich allgemein häufen. „Solche Einbrüche hat es immer wieder gegeben, auch die Zahlen sind nicht auffällig hoch“, erklärt Schifferl. Über 100 PKW-Einbrüche im Raum Klagenfurt-Stadt gab es 2017.

Doch wer steckt hinter den PKW-Einbrüchen? „Es dürfte sich um klassische Beschaffungskriminalität handeln“, sagt Chefinspektor Schifferl. Organisierte Gruppen sind also nicht zu erwarten. In dieses Bild passt auch der ehemalige Klagenfurter Autoknacker, mit dem wir uns über seine Vergangenheit unterhalten haben. Hier ist seine Geschichte.

Ein (fast) gewöhnlicher Heimweg

Die Geschichte beginnt in einer Situation, die jedes Wochenende tausende Klagenfurter erleben. Andreas P. (Name geändert) ist mit einem Kumpel nach einem Discobesuch auf dem Nachhauseweg. Die beiden sind zu diesem Zeitpunkt 17 und 16 Jahre alt. „Auf dem Weg war ein PKW. Ich sagte zu meinem Freund, er solle mal schauen, ob er verschlossen ist.“ Das Auto war offen, die Beute betrug sechs Euro. Der Startpunkt einer Autoknackerkarriere betrug sechs Euro. Denn wo sechs Euro sind, muss auch noch mehr sein. Wenn man ganz Klagenfurt abgeht, findet man sicher mehr – so der Gedankengang der beiden. „Ab diesem Tag sind wir täglich von Mitternacht bis 4 Uhr früh durch ganz Klagenfurt gegangen und versuchten, Autos zu öffnen. Im Schnitt hatten wir 100 Euro pro Nacht. Es gab natürlich Tage, da waren es nur 30 Euro. Aber auch Tage, da waren es 1000 Euro und einmal sogar 17.000 Euro in einem offenen Auto.“

„Wir fühlten uns so sicher“

Wer denkt, ein Autoknacker muss zwangsläufig arbeitslos sein, täuscht sich. Auch wenn Andreas zu Beginn tatsächlich arbeitslos war, fand er schon bald eine Lehre und eine eigene Wohnung. Die Einbrüche aber hörten nicht auf. Andreas: „Es war eine Phase, wo wir zwei zwar beide arbeiteten, aber uns war es eher egal. Wir fühlten uns so sicher, dass wir dabei nicht erwischt werden können.“ Man „wollte besser leben“. Denkt man an PKW-Einbrüche, denkt man auch oft an organisierte Kriminalität. Doch das entkräftet Andreas: „Wir waren immer zu zweit unterwegs. Einer zum Durchsuchen und einer, um vor der Haustüre des Opfers Schmiere zu stehen. Zur Not hatten wir Pfefferspray dabei, was wir aber nie verwendeten!“ Bei mehr Beteiligten hätte man das Geld auch durch mehrere Personen teilen müssen, sagt er.

Das Spiel mit dem Feuer

Irgendwann waren die beiden mobil, Klagenfurt wurde zu klein, dann „nahmen wir uns ganz Kärnten vor“, sagt Andreas. „Wir waren Profis. Wussten, wo ist was zu holen und wo ist nichts. In der Stadt bzw. in großen Siedlungen ist es sehr unwahrscheinlich, ein offenes und vor allem ein Auto mit Beute zu finden.“ Denn offene Autos, das war das primäre Ziel der beiden. „Daher sind wir aufs Land, wo pro Ortschaft um die 50 Häuser waren. Dort fühlen sich die Leute sicherer und lassen Brieftasche, Laptops, Tankgutscheine usw. teils offen im Auto liegen.“

„Unsere Masche war also eigentlich nicht das Aufbrechen, sondern nur das Öffnen von unversperrten PKWs. Es lohnte sich, im Schnitt gingen wir dreimal die Woche und machten pro Kopf im Schnitt 3.000 Euro Beute pro Monat.“ In fünf Jahren sollen so um die 60 bis 80.000 Euro zusammengekommen sein. Aktiv waren die beiden übrigens unter der Woche, da am Wochenende die Leute länger wach sind. Auch wenn sie sich in erster Linie an unversperrten Fahrzeugen zu schaffen machten, ein paar brachen sie dann doch auf.

Die Schuldfrage

Das Mitleid mit seinen Opfern hält sich bei Andreas in Grenzen. Wir fragen, ob er seine Taten bereut: „Bereuen tu’ ich ehrlich gesagt gar nichts. Einer, der 17.000 oder 500 Euro im offenen Auto liegen lässt, ist in meine Augen dumm und mindestens genauso Schuld wie der, der es im stiehlt. Aber ich weiß, was auf dem Spiel steht und würde es ehrlich gesagt in Zukunft nicht mehr machen.“

Was auf dem Spiel steht, weiß Andreas deshalb so genau, weil er erwischt und verurteilt wurde – mehrmals. Nach dem vermeintlich großen “Coup” um die gestohlenen 17.000 Euro wurden sie bereits am nächsten Tag gestellt. Die Freude über das Geld währte also nicht lange, doch aufgehalten hat beide das nicht – auch wenn sie oft monatelang nicht unterwegs waren. Es folgten mehr Einbrüche, mehr Gerichtsverhandlungen, mehr Strafen.

Aktuell sitzt Andreas eine fünfjährige Bewährungsstrafe ab und muss für drei Monate eine Fußfessel tragen – ein sogenannter elektronisch überwachter Hausarrest. Sein Komplize muss seine Haft im Gefängnis absitzen.

Elektronisch überwachter Hausarrest

Der elektronisch überwachte Hausarrest (eüH) stellt die jüngste Vollzugsform in Österreich dar, er wurde im Herbst 2010 eingeführt. Grundsätzlich kommen für diese Vollzugsform Personen in Frage, die ausreichend sozial integriert sind und deren zu verbüßende (Rest-)Strafe zwölf Monate nicht übersteigt. Der eüH, umgangssprachlich oft auch “Fußfessel” genannt, muss beantragt werden und kann den Vollzug der Freiheitsstrafe in der Justizanstalt zur Gänze ersetzen oder aber verkürzen.

Wie schützt man sich?

Wer könnte die Frage besser beantworten als jemand, der über Jahre hinweg nach leichten Zielen Ausschau hielt? Genau das dachten wir uns auch und fragten nach: „Man sollte die zehn Sekunden investieren, um die Brief- oder Handtasche so zu verstauen, dass es niemand sieht. Denn das ist es, auf was die Täter am meisten achten. So bist du zu 1000 Prozent sicher, denn niemand – absolut niemand – schlägt auf gut Glück eine Scheibe ein, um was zu erbeuten.“

Er fährt fort: „Leichte Opfer sind alle, die sich zu sicher fühlen. Also z.B. Leute in der Stadt, die denken, da passiert schon nichts oder Leute am Land, die denken, da kommt sowieso niemand her und vor allem nicht in meine Garage oder meine Einfahrt.“ Zu sicher bedeutet in diesem Fall, den PKW unversperrt zu lassen. Oder eben Wertsachen offen zu präsentieren. Beliebtes Ziel sind auch große Häuser auf dem Land. Dass dort mehr Geld in den Brieftaschen zu finden ist, „sagt schon der Hausverstand“, so Andreas.

„Ebenfalls leichte Opfer sind Leute, die im Sommer die Scheibe halb offen lassen – der kleinste Schlitz genügt einem Könner, um das Auto zu öffnen. All das haben wir uns selbst beigebracht, man lernt auch hier von Tag zu Tag.“ Im Schnitt braucht es 60 bis 90 Sekunden, um das gesamte Auto zu durchsuchen. „Mittelkonsole, Handschuhfach, Autotür links/rechts und unter den Sonnenblenden“, das seien die Orte, an denen etwas zu finden sei.

Fazit

Andreas’ Geschichte bestätigt uns das, was wir auch im Gespräch mit Chefinspektor Wolfgang Schifferl erfahren haben: “Fahrzeuge werden gezielt ausgesucht. Alle Diebstähle fanden bei unversperrten PKW, oder solchen mit offen liegenden Wertgegenständen statt.”

Auch wenn er seinen Opfern eine Mitschuld gibt, stolz sei er nicht auf seine Taten, sagt er. Abschließend anmerken muss man auch, dass sich Andreas an uns gewandt hat, “um zu zeigen, wie man sich schützt.” Die letzte Verurteilung dürfte ihm vor Augen geführt haben, dass der Weg, den er beschreitet, direkt ins Gefängnis führt. Und dann ist da natürlich auch noch seine Mutter, die, wie er selbst zugibt, “schon öfter völlig fertig mit den Nerven war.”