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Leben - Kärnten
© kk/jenny ertl

Badminton-Ass Jenny Ertl: 

“Warum starben die zwei, während ich überleben durfte?”

Kärnten – In „DAS ist Kärnten“ stellen wir euch diesmal Jenny Ertl (25) aus Klagenfurt vor. Sie war das aufstrebende Talent Österreichs im Badminton, verunglückte im Jahr 2018 in Tschechien schwer. Sie überlebte im Gegensatz zu den zwei weiteren Insassen und kämpfte sich in allen Belangen wieder zurück…

 9 Minuten Lesezeit (1108 Wörter) | Änderung am 17.01.2021 - 19.53 Uhr

Von Lukas Moser. 28. September 2018 – für den Großteil von uns ein Tag wie jeder andere. Für die 25-jährige Jenny Ertl aber ihr zweiter Geburtstag. Die Nachrichten gingen damals um die Welt: In Tschechien verunfallten drei der größten Asse des österreichischen Badmintonsports schwer. Der Fahrer verstarb noch an der Unfallstelle, die Beifahrerin wenige Tage später im Krankenhaus – nur die
Klagenfurterin Ertl, damals amtierende Staatsmeisterin, überlebte.

„An jedem anderen Platz im Auto hätte ich keine Überlebenschancen gehabt“

An den Unfall, der am Weg vom einen zum nächsten Turnier stattfand, kann sich Ertl bis heute nicht erinnern: „Mittlerweile ist zumindest präsent, wie wir zum Auto gingen und wegfuhren.“ Ob es für sie nicht schwer ist, über die tragischen und traumatischen Ereignisse zu sprechen? Nach einer gewissen Zeit müsse man darüber reden können: „Sonst kommt man im Leben ja nicht weiter.“

Dabei grenzt es beinahe an ein Wunder, dass Ertl heute noch lebt. Die verunglückten Antonia Meinke und Chee Tean Tan saßen vorne, die Klagenfurterin auf der Rückbank: „Eigentlich war klar, dass ich hinten sitze – ich bin ja nur mit den beiden mitgefahren.“ Doch mit Blick auf das Unfallauto meint sie, dass sie aller Wahrscheinlichkeit nach auf jedem anderen Platz im Auto keine Überlebenschance gehabt hätte. Mit dem Schicksal hadert sie trotzdem: „Ich habe mich oft gefragt, warum die zwei starben, während ich überleben durfte. Ich fand das nicht fair.“

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Sie bekommt Unterstützung von allen Seiten.

Sie bekommt Unterstützung von allen Seiten. - © Jenny Ertl

„Wie könnte ich feiern, wenn zwei liebenswerte Menschen sterben?“

Oberschenkel, Elle, Mittelhandknochen, Schlüsselbein, Brustbein und mehrere Rippen gebrochen, die Milz eingerissen, die Lunge gequetscht – dies ist nur eine Auswahl der Verletzungen, die das Badminton-Ass davontrug. „Die Summe der Verletzungen war schon alleine aufgrund des Blutverlusts lebensgefährlich, aber nach wenigen Tagen war ich stabilisiert.“ Bereits am 2. Oktober konnte sie ins Krankenhaus nach Klagenfurt überstellt werden, die Nähe ihrer Familie war wichtig. Am 25. Oktober durfte sie schließlich das Krankenhaus verlassen.

Trotzdem wird der 28. September für die sympathische Klagenfurterin immer ein besonderer Tag bleiben. Am ersten Jahrestag des Unfalls fuhr sie sogar noch einmal nach Tschechien – um zu trauern, um zu verarbeiten. Ihr Umfeld meint, sie solle ihren „zweiten Geburtstag“ feiern, doch das ist für sie unmöglich: „Wie könnte ich diesen Tag feiern, wenn zwei liebenswerte Menschen dabei umgekommen sind?“ An das tragische Ereignis erinnert sie auch noch der ausständige Prozess zum Unfallhergang gegen den Fahrer des zweiten beteiligten Wagens. Der erste Termin im März vergangenen Jahres platzte wegen der Pandemie, bis heute heißt es warten. „Um abschließen zu können, hoffe ich wirklich auf einen baldigen Start. Respekt habe ich davor aber natürlich, weil es die Wunden wieder aufreißen könnte.“

Vom Rollstuhl zur Vizestaatsmeisterin und ins Nationalteam

Unglaublich, aber wahr: Nur wenige Stunden nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus kehrte die auch als Trainerin aktive Ertl im Rollstuhl für „ihre“ Kinder des ASKÖ Kelag Kärnten auf den Trainingsplatz zurück: „Das Leben musste weitergehen, aber ich hatte noch nicht so ganz realisiert, dass sich etwas verändert hat.“ Der Umgang mit den Kindern habe ihr aber geholfen, sind diese doch nicht selten direkter in ihren Fragen: „Das war für die Aufarbeitung hilfreich und generell haben sie sich total nett um mich gekümmert.“ Auch an ihre aktive Karriere dachte sie rasch: „Direkt nach dem Unfall wollte ich sofort wieder spielen. Erst später merkte ich immer mehr, dass es nicht ganz so einfach geht.“

Doch der Erfolg ließ tatsächlich nicht lange auf sich warten: Ein Jahr nach dem Unfall stieg sie wieder im Badminton-Einzel ein und gewann Gold bei den ASKÖ- Bundesmeisterschaften: „Niemand hätte damit gerechnet, dass ich nach so kurzer Zeit überhaupt wieder spielen kann. Der Sieg hat mich dann selbst extrem überrascht.“ Mit ihrer Schwester Conny holte sie darüber hinaus noch Silber im Doppel. Bei den Staatsmeisterschaften, dem wichtigsten nationalen Turnier, konnte sie im Damen-Einzel mit Platz 2 reüssieren. Das schönste Erlebnis war jedoch ihr Auftreten im österreichischen Nationalteam im Rahmen der Team-EM Qualifikation vor wenigen Wochen: „Trotz meiner Leistungen vor dem Unfall war ich nie Teil des Nationalteams, weil ich nicht nach Wien ziehen wollte. Nun habe ich mir auch diesen Traum erfüllen können.“ Die Klagenfurterin wird nun aller Voraussicht nach zu weiteren Nationalteameinsätzen kommen: „Rein von den Ergebnissen her bin ich teils schon dort, wo ich vor dem Unfall war. Es fehlt aber noch einiges, um die Souveränität von damals wiederzuerlangen – ich möchte aber wieder dorthin kommen.“

„Leben heißt lernen im Regen zu tanzen“

Ihr Körper hat sich verändert, davon zeugen heute noch all die Narben. „Gewisse körperliche Beschwerden werden nie vergehen, aber ich fühle mich schon viel besser.“ Wegen der Schmerzen brach sie nicht selten nach Spielen in Tränen aus. Mental waren diese Momente jedoch die schönsten für sie, konnte sie doch endlich ihrer Leidenschaft wieder nachgehen. In diesem Bereich helfe ihr das Sprechen über die Erlebnisse beim Aufarbeiten: „Ich bin stolz auf das, was ich geschafft habe und wie ich damit umgegangen bin. Das Leben ist eine Herausforderung und daher fällt es mir nicht schwer, über all dies zu sprechen.“ Um mit dem Erlebten besser umgehen zu können, begann sie vor mehr als einem Jahr mit dem Aufschreiben der Erinnerungen, die sie auch als Buch veröffentlichen will – aktueller Arbeitstitel: „Leben heißt lernen im Regen zu tanzen“.

Kreativ sei sie schon immer gewesen, auf Reha habe sie jedoch endlich auch mehr Zeit gefunden: „Neben dem Sport war es insbesondere das Malen, das mich abgelenkt und mir geholfen hat.“ Mittlerweile designt sie sogar T-Shirts mit Badminton-Motiven und malt Bilder – eines davon schenkte sie vor kurzem stellvertretend für das gesamte Pflegepersonal dem Haus Harbach als Zeichen des Danks in dieser für alle schweren Zeit.

„Jeden Tag genießen und glücklich sein“

Ihre Ziele für die Zukunft? „Sportlich möchte ich international wieder einsteigen, doch da haben sich schon einige psychische Ängste davor entwickelt.“ Darüber hinaus sei der Gewinn der Damen-Einzel-Staatsmeisterschaft wieder ihr großes Ziel und vielleicht tragen sie ihre vielen „kleinen“ Träume sogar einmal bis zu den Olympischen Spielen. Aber auch abseits des Sports steckt sich Ertl Ziele: „Ich will mein Buch veröffentlichen, jeden Tag genießen, glücklich sein und einfach Dinge machen, die mir Spaß machen.“

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Auch die Kunst hat ihr durch die schwere Zeit geholfen.

Auch die Kunst hat ihr durch die schwere Zeit geholfen. - © Jenny Ertl