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Leben - Klagenfurt
Die klinische und Gesundheitspsychologin Manuela Germ ist bei Querkopf als Familienintensivbetreuerin tätig und betreibt zusätzlich eine private Praxis in Klagenfurt
Die klinische und Gesundheitspsychologin Manuela Germ ist bei Querkopf als Familienintensivbetreuerin tätig und betreibt zusätzlich eine private Praxis in Klagenfurt © Germ

Überforderung, Aggressivität & depressive Verstimmungen

Familienintensiv­betreuerin: “Die Jugendlichen brauchen ihr Leben zurück!”

Klagenfurt – Seit einem Jahr bestimmt die Corona-Pandemie unser Leben: Lockdown, Maskenpflicht, Schulschließungen – Covid 19 ist allgegenwärtig. Besonders betroffen von den Einschränkungen sind Kinder und Jugendliche. Wir haben mit Psychologin Manuela Germ gesprochen, welche Auswirkungen die Situation auf junge Menschen hat. (Von Christine Jeremias) 

 7 Minuten Lesezeit (873 Wörter) | Änderung am 20.03.2021 - 11.53 Uhr
Sie haben als Familienintensivbetreuerin und in Ihrer Praxis täglich mit Jugendlichen zu tun. Wie sehen Sie die Situation nach einem Jahr der Pandemie?

Germ: Die schon oft angesprochene Corona-Müdigkeit macht sich natürlich auch bei den Jugendlichen bemerkbar. Man kann nicht in einem permanenten Gefühl der Alarmbereitschaft leben, ohne Perspektive, wann wieder mit Normalität zu rechnen ist. Dazu kommt, dass die Bedrohung durch Corona zum Teil diffus bleibt, nicht wirklich greifbar ist – durch Verschwörungstheorien werden zusätzlich Unsicherheiten geschürt. Anstatt unser natürliches Bedürfnis nach Nähe und Bindung ausleben zu können, beherrschen Distanz und Rückzug unseren Alltag. Bei den Jugendlichen sind die Auswirkungen besonders stark zu spüren – die psychischen Probleme werden immer mehr.

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Germ: “Man kann nicht in einem permanenten Gefühl der Alarmbereitschaft leben, ohne Perspektive.”

Germ: “Man kann nicht in einem permanenten Gefühl der Alarmbereitschaft leben, ohne Perspektive.” - © Pixabay

Wieso betrifft Jugendliche die Pandemie besonders? Gehen jüngere Menschen nicht unbeschwerter mit Krisen um?

Germ: Das mag allgemein richtig sein, wenn man sich jedoch die Coronamaßnahmen genauer ansieht, wird klar, dass genau diese Maßnahmen die Jugendlichen in ihrer Entwicklung massiv einschränken. Die Pubertät ist ohnehin eine schwierige Phase auf dem Weg zum Erwachsenwerden – Schamgefühle, Unsicherheit, Selbstzweifel, die Erprobung von verschiedenen Rollenmustern, die Orientierung an neuen Vorbildern und die emotionale Loslösung vom Elternhaus sind Themen, die die Jugendliche in der Zeit zwischen ca. 12 und 18 Jahren durchleben. In dieser Zeit sind Freunde, der Austausch mit Gleichaltrigen enorm wichtig. Durch den Lockdown wurde die Möglichkeit seinen Platz innerhalb der sogenannten Peer Group zu finden und erste Schritte in die Unabhängigkeit zu machen, mit einem Schlag genommen. Das Leben war plötzlich bestimmt von Isolation und Rückzug, soziale Kontakte bekamen den Anschein von etwas Bedrohlichem. Alles konnte nur noch online, in den sozialen Medien stattfinden. Das mag eine Zeitlang gut gehen, führt auf Dauer aber zu großen Schwierigkeiten.

Jugendliche sind doch ohnehin viel und gerne online und nutzen als sogenannte „digital Natives“ soziale Medien ganz selbstverständlich zur Kommunikation. Kommt ihnen da die aktuelle Entwicklung nicht sogar ein Stück weit entgegen?

Germ: Natürlich waren die sozialen Medien schon vor Corona sehr präsent, was ja auch oft ein Streitpunkt zwischen Eltern und Kinder darstellt, durch die Pandemie hat das aber noch einmal ganz andere Ausmaße angenommen. Man darf nicht vergessen, dass ja auch der Unterricht in der Oberstufe seit November fast ausschließlich online stattgefunden hat, die Jugendlichen schon deswegen täglich Stunden vor dem Computer verbringen mussten. Zugleich wurden die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung quasi auf Null gesetzt: der Ausgleich durch Hobbies, etwa in Sportvereinen, das Treffen von Freunden unter normalen Bedingungen, das alles war im vergangenen Jahr kaum möglich. Das führt zu einer großen Monotonie in der Lebensgestaltung, viele Jugendliche hatten das Gefühl, ihr Leben würde nur noch aus Schule bestehen. Dadurch nimmt einerseits die Motivation ab, andererseits wird das Gefühl der Überforderung immer größer. Jugendliche, die generell eher introvertiert sind, ziehen sich durch die fast ausschließlich digital stattfindenden Kontakte noch stärker zurück, das kann bis zur Entwicklung von Sozialphobien führen.

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Germ: “Die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung wurden quasi auf Null gesetzt.”

Germ: “Die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung wurden quasi auf Null gesetzt.” - © Pixabay

Welche Probleme sehen Sie noch bei Jugendlichen?

Germ: Durch die Pandemie sind Familien vielseitig gefordert. Homeoffice, Distance Learning, oft auch Sorge um den Arbeitsplatz stellen eine große Belastung dar. Besonders betroffen sind sozial schwache Familien, die meist ohnehin über weniger Ressourcen und Lösungsstrategien verfügen und oft weniger stabile Strukturen aufweisen, hier ist eine starke Zunahme an Konflikten und damit einhergehendem problematischen Verhalten von Jugendlichen zu beobachten. Aggressivität, Schulverweigerung und Antriebslosigkeit kommen immer häufiger vor. In letzter Zeit sehe ich leider auch immer mehr junge Menschen, die an depressiven Verstimmungen leiden, es oft gar nicht mehr aus dem Bett schaffen.

Welche Alarmzeichen gibt es, auf die Eltern achten sollten?

Germ: Oft ist es ja gar nicht so einfach, zwischen normalen Zeichen der Pubertät – wie etwa Gefühlsschwankungen oder Distanz zu den Eltern – und Symptomen einer psychischen Veränderung zu unterscheiden. Wenn sich die Jugendlichen aber über einen längeren Zeitraum ganz vom Familiengeschehen zurückziehen, ein plötzlicher Leistungsabfall in der Schule und allgemeine Antriebslosigkeit zu bemerken sind, sollte man darauf reagieren und gemeinsam Lösungen suchen. Da ist sehr oft Hilfe von außen nötig. Hier sollte man nicht zögern, eine psychologische Beratung in Anspruch zu nehmen. Eine erste Anlaufstelle könnte beispielsweise der Schulpsychologe sein. Generell ist es ganz wichtig, dass die Jugendlichen eine Vertrauensperson haben, mit der sie über Sorgen, Ängste und Belastungen sprechen können. Sei es ein Elternteil, ein Verwandter oder auch ein Lehrer. Die jungen Menschen dürfen nicht das Gefühl haben, allein gelassen zu werden. Als Gesellschaft muss uns bewusst sein, dass die Jugend unsere Zukunft ist, um die wir uns gut kümmern müssen. Ihre Bedürfnisse müssen wahr- und ernstgenommen werden. Auch und gerade in Krisenzeiten.

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Germ: “Generell ist es ganz wichtig, dass die Jugendlichen eine Vertrauensperson haben, mit der sie über Sorgen, Ängste und Belastungen sprechen können.”

Germ: “Generell ist es ganz wichtig, dass die Jugendlichen eine Vertrauensperson haben, mit der sie über Sorgen, Ängste und Belastungen sprechen können.” - © Pexels