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Leben - Kärnten
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Mobbing-Prävention

Mutter verlor Sohn durch Suizid: „Lasst uns nicht weiter wegsehen!“

Lendorf – Nach dem Suizid ihres Sohnes sieht es Marika Lagger-Pöllinger (51) als ihre Aufgabe, mit diesem Tabuthema zu brechen und gegen Mobbing vorzugehen. Durch Präventionsvorträge an Schulen will sie den Jugendlichen verdeutlichen, wie wichtig es ist, sich jemanden anzuvertrauen, um ihnen ein ähnliches Schicksal wie das ihres Sohnes zu ersparen.

 8 Minuten Lesezeit (1079 Wörter) | Änderung am 28.03.2021 - 20.48 Uhr

Von Elisa Auer. Die Bürgermeisterin von Lendorf, Marika Lagger-Pöllinger, beschreibt das idyllische Bild einer glücklichen, vierköpfigen Familie, die ein harmonisches und glückliches Leben führt, welches sich durch Zusammenhalt und Gemeinschaft auszeichnet. Diese Schilderung beschreibt ihre eigene Welt bis zu jenem tragischen Tag, an dem sich ihr damals 16-jähriger Sohn Elias das Leben nahm und sich damit der Alltag der Familie für immer veränderte. Das Datum, 30. Jänner 2014, besiegelte nicht nur eine Kehrtwende des persönlichen Familienglücks, sondern war für Lagger-Pöllinger zugleich ein Weckruf, um mit dem gesellschaftlichen Tabuthema Suizid zu brechen, damit an die Öffentlichkeit zu gehen und Aufklärung zu schaffen, wo es nötig ist.

„Elias war stehts ein sehr braves, fleißiges und für sein Alter reifes Kind“

Er hatte gute Zensuren, spielte leidenschaftlich gerne Fußball, war aber von introvertierter Natur, weshalb er in der Schule anfangs schwer Anschluss fand. In der Unterstufe wurde er Opfer von Hänseleien, die anfangs noch recht harmlos wirkten und sich dank der Klassenlehrerin, die das Thema gut aufgegriffen und mit der Klasse verarbeitet hat, wieder legten. Auch an der HTL schaffte er es scheinbar gut, sich zu integrieren, nur der plötzliche Bruch mit seiner Passion des Mannschaftssportes machte seine Mutter stutzig. Nach einem Vereinswechsel weigerte er sich, weiterhin zum Fußballtraining zu erscheinen, die Ursache dafür wollte er aber nicht benennen. Nach seinem Tod sollte sich herausstellen, dass Elias einen mehr als triftigen und schockierenden Grund hatte, nicht mehr am Training teilzunehmen.

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„Unser Leben ist nicht mehr so wie es war. Es wird nie wieder so sein”, so Marika Lagger-Pöllinger über den Tod ihres Sohnes. - © KK

„Der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt“

„Es war ein Tag wie jeder andere, nur, dass wir alle gesundheitlich angeschlagen waren. Es war sehr ruhig und wir waren alle zuhause“, so beschreibt Lagger-Pöllinger jenes schicksalstragende Datum, welches für immer in ihrem Gedächtnis bleiben wird. Es hat keinerlei Anzeichen gegeben, die auf das Vorhaben des 16-Jährigen hätten schließen lassen, sogar seine Schultasche für den nächsten Tag hat Elias routiniert gepackt. Der letzte Satz, den seine Mutter von ihm hörte, war ein „Gute Nacht, Mama“, die zu diesem Zeitpunkt nicht ahnte, dass in nur wenigen Stunden nichts mehr so sein sollte wie zuvor.

„Es reißt einem den Boden unter den Füßen weg. Es ist, als ob man einen Albtraum hat, aus dem man nicht mehr erwacht“, beschreibt Marika Lagger-Pöllinger den für sie surrealen Moment, als ihr der Polizist mitteilte, dass ihr Sohn sich das Leben genommen hatte. Nach dem Tod wurden Handy und Laptop durchforstet, man suchte nach Hinweisen und Indizien für seine Verzweiflungstat und wurde fündig. Tatsächlich gab es zwei prägnante Vorfälle, die mitverantwortlich für Elias Suizid waren, der laut Ärzten auf eine Kurzschlussreaktion zurückzuführen war. Sowohl ein Video, welches ihren Sohn nackt während des Duschens nach dem Fußballtraining zeigt, als auch ein intensiver Kontakt zu einer Internetbekanntschaft haben dazu beigetragen, dass Elias am Leben verzweifelt ist. „Schuld zusprechen, steht mir nicht zu“, betont Lagger-Pöllinger jedoch in diesem Zusammenhang, die niemanden als Verantwortlichen für den Tod ihres Sohnes nennt.

„Im Internet gibt es keine Hemmschwelle mehr“

Der Austausch mit dem Fakeprofil Lena erstreckte sich über einen längeren Zeitraum. Elias verliebte sich in sie, anzügliche Fotos wurden ausgetauscht und intensive Chatgespräche geführt. Eine Begegnung im realen Leben gab es nie, wohl aber ein Zusammentreffen mit einem Jungen, der sich als Lenas Freund erkennbar machte, Elias bedrohte und einmal sogar attackierte. Der 16-Jährige brach den Kontakt zur Internetbekanntschaft ab, in der vermeintlichen Nacht kam es zu einem erneuten Austausch. „Ich habe das Gefühl, dass er Angst um die Frau hatte und sie daraufhin gesucht hat“, mutmaßt Lagger-Pöllinger, da er dem Kilometerzähler zufolge mehrere Stunden mit dem Auto unterwegs war. Was sich tatsächlich ereignete und welche Faktoren schließlich ausschlaggebend für Elias Entschluss waren, ist bis heute nicht klar. „Es haben viele Dinge dazu beigetragen, dass er am Leben verzweifelt ist“, vermutet seine Mutter, die das Cyber-Mobbing jedoch als prägnanten Mitverursacher nennt. Auch eine Erpressung ist nicht auszuschließen. Besonders das ins Netz gestellte Nackt-Video ihres Sohnes schockiert sie, zu dem sie sich folgendermaßen äußert: „Es war deshalb so schlimm, weil es sich in einem Verein abgespielt hat, im realen Leben also.“ Ausgehend davon plädiert sie an all jene, die mobben: „Alles, was ihr schreibt, kann beim Gegenüber ganz anders ankommen und für einen sensiblen Menschen im falschen Moment eine Katastrophe anrichten. Etwas im echten Leben anzusprechen braucht Mut, im Internet nicht. Das Geschriebene hat keine Emotionen“, weshalb Marika Lagger-Pöllinger sich nun gezielt gegen Mobbing einsetzt und versucht, den Jugendlichen näherzubringen, was sie mit ihren Worten und Taten bewirken können. Sei es im Netz oder in der realen Welt – psychische Verletzungen können mindestens genauso schmerzen wie physische.

„So viele schämen sich“

„Unser Leben ist nicht mehr so wie es war. Es wird nie wieder so sein. Ein Teil dieses Lebens bedeutet für mich auch, da nicht tatenlos zuzusehen“, resümiert Marika Lagger-Pöllinger, die es als ihre Aufgabe und wesentlichen Aspekt des Trauerprozesses sieht, präventiv gegen Cyber-Mobbing und Diskriminierung vorzugehen. „Für unseren Sohn ist es zu spät, aber es gibt eine Menge anderer Jugendliche, die das betrifft und es werden immer mehr“, weshalb sie Vorträge an Schulen hält, um mit dem Tabuthema Suizid zu brechen sowie Jugendliche dazu zu ermutigen, sich Hilfe zu suchen und bei Übergriffen (mentaler oder physischer Natur) nicht tatenlos zuzusehen. Depressionen, Selbstmordgedanken und psychische Probleme sind Teil unseres Alltags, weshalb nicht weiter über diese hinweggesehen werden darf.

Hilfe rund um die Uhr

In der Regel berichten wir nicht über Todesfälle ohne Fremdverschulden oder Suizidversuche – außer die Tat erfährt durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Solltest du selbst das Gefühl haben, dass du Hilfe benötigst, kontaktiere bitte umgehend die Telefonseelsorge unter 142.

Die Telefonseelsorge bietet ein kostenloses, vertrauliches und an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr erreichbares Beratungsangebot – ein offenes Ohr, Entlastung und Unterstützung für alle Anrufenden, unabhängig von deren Alter, Geschlecht, Religion und sozialer Herkunft.

Du kannst die Telefonseelsorge auch online kontaktieren.

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