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Wirtschaft - Kärnten
ÖGB-Vorsitzender Hermann Lipitsch:
ÖGB-Vorsitzender Hermann Lipitsch: "Studien zeigen, dass zu langes Arbeiten krank macht. Mehr Freizeit steigert die Lebensqualität und die Zufriedenheit der ArbeitnehmerInnen." © Österreichischer Gewerkschaftsbund

Interview am Tag der Arbeit:

“Vier Tage arbeiten, drei Tage frei bei vollem Lohn­aus­gleich”

Kärnten – Am heutigen Tag der Arbeit möchten wir den derzeitigen Arbeitsmarkt näher beleuchten. Wohin führt uns die Zukunft als ArbeitnehmerInnen? Dazu führten wir mit ÖGB-Vorsitzenden Hermann Lipitsch ein Interview. Er setzt sich für mehr Freizeit und weniger Arbeitszeit ein.

 5 Minuten Lesezeit (680 Wörter)
Wie feiert die Gewerkschaft in Zeiten von Corona den “Tag der Arbeit”?

ÖGB-Vorsitzender Hermann Lipitsch: Wir setzen aufgrund der Pandemie und Kontaktbeschränkungen Schwerpunkte in den sozialen Medien. Wir werden unsere Konzepte und Forderungen kundtun und aufzeigen, dass es der Wirtschaft nur dann gut geht, wenn es den Menschen gut geht.

Sie prognostizierten im Jahr 2020 hinsichtlich der Arbeitslosenzahlen “Nach der Kurzarbeit kommen die Freisetzungen”. Wird die Arbeitslosigkeit in Kärnten weiter steigen?

Die Lage am Arbeitsmarkt ist in einigen Branchen nach wie vor angespannt, siehe Gastronomie und Tourismus. Wir sehen aber gleichzeitig, dass bei Öffnungsschritten auch die Arbeitslosenzahlen zurückgehen.

In wie fern kann die Kurzarbeit zur Arbeitsplatzerhaltung beitragen?

Die Kurzarbeit sichert Einkommen, schützt Arbeitsplätze und verhindert Arbeitslosigkeit und Armut.

Soll das Arbeitslosengeld erhöht werden?

Ja, auf mindestens 70 % des letzten Einkommens. Die Menschen kämpfen mit steigenden Kosten des täglichen Lebens und unser Sozialstaat muss ihnen dabei unter die Arme greifen.

Branchen wie Tourismus, Gastronomie oder Pflege finden trotz Rekordarbeitslosigkeit nur schwer Personal – läuft da nicht etwas falsch?

Solange der Tourismus und die Gastronomie geschlossen sind, fehlen hier auch die Perspektiven. In der Pflege brauchen wir bis zum Jahr 2030 ca. 76.000 neue Pflegekräfte in Österreich. Die ersten Ausbildungen starten. Die Bundesländer haben dabei Vorreiterrolle, die Bundesregierung war da in der Vergangenheit zu säumig.

Arbeitnehmern bleibt wenig netto vom Bruttolohn, Arbeitgeber beklagen die hohen Lohnnebenkosten. Braucht es hier nicht eine Veränderung?

Würden wir endlich die kalte Progression abgelten, würde den Menschen mehr in der Tasche bleiben. Nur den Lohnnebenkosten die Schuld zu geben ist eine unehrliche Diskussion: Lohnnebenkosten sind auch Urlaubs – und Weihnachtsgeld, Krankenversicherung, Unfallversicherung, Arbeitslosenversicherung oder die Pensionsversicherung – diese Leistungen sind unabdingbar für unseren Sozialstaat.

Immer mehr Menschen sind in Mehrfachbeschäftigung. Sehen Sie darin den Ausdruck neuer Freiheiten oder eher den Druck aufgrund finanzieller Nöte?

Viele Menschen finden mit einem Einkommen leider nicht mehr ihr Auskommen und rutschen trotz Arbeit in die Armut. Hier braucht es gerechte Entlohnung und ein faires System, damit Menschen auch für später ihre Versicherungsjahre erwerben.

Das Thema Mindestlohn wird immer wieder heiß diskutiert. Wie hoch sollte er Ihrer Meinung nach Netto sein?

1.700 Euro sollte der Mindestlohn mindestens sein. Leider erfüllen wir dieses Niveau noch nicht in allen Branchen, aber wir arbeiten mit den Sozialpartnern sukzessive an der Umsetzung.

Wie sieht das Arbeitszeitmodell der Zukunft für Sie aus?

4 Tage pro Woche arbeiten und 3 Tage frei bei vollem Lohnausgleich, wird aus meiner Sicht das Modell der Zukunft. Studien zeigen, dass zu langes Arbeiten krank macht. Mehr Freizeit steigert die Lebensqualität und die Zufriedenheit der ArbeitnehmerInnen.

Zur Person:

Hermann Lipitsch ist 61 Jahre alt, verheiratet und Vater zweier Kinder. In seiner Freizeit ist er bei der FF Puch als Ehrenkommandant tätig und betreibt regelmäßig Sport. Beim Wandern findet er seinen Ausgleich zum beruflichen Alltag.

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Beim Wandern findet Hermann Lipitsch Erholung.

Beim Wandern findet Hermann Lipitsch Erholung. - © Privat

Liptisch hat die Lehre zum KFZ-Mechaniker abgeschlossen und seinen beruflichen Werdegang als Zugbegleiter bei der ÖBB gestartet. Lipitsch war im Gemeinderat in Weißenstein tätig und von 1993 bis 2001 Betriebsratsvorsitzender der Zugbegleiter in Kärnten. Von 2001 bis 2003 war er im Personalausschuss des Personenverkehrs Kärnten und Steiermark tätig. Ab 2003 erhielt er die Funktion des Direktionssekretärs der Gewerkschaft der Eisenbahner und übernahm die Leitung beim Zusammenschluss der Gewerkschaften zur heutigen Gewerkschaft vida und dessen Gründungsvorsitzender in Kärnten. 2008 bis 2017 war Lipitsch Nationalratsabgeordneter. Seit 2008 bekleidet er das am des ÖGB Landesvorsitzenden in Kärnten und seit 2018 ist er Landtagsabgeordneter.

Hintergründe zum Tag der Arbeit:

Die erste Massendemonstration fand am 1. Mai 1856 in Australien statt, erst 1890 wurde er weltweit mit Streiks und Demonstrationen begangen. Die Arbeiter Österreichs beteiligten sich daran vor allem mit Ausflügen ins Grüne und schon 1907 war in mehr als zwei Dritteln der Arbeitsverträge dieser Tag mit einer Arbeitsruhe verbunden. 1933 verbot Kanzler Dollfuß die sozialdemokratischen Maifeiern in Österreich, um bereits 1934 den “Tag der Arbeit”, “Tag der Jugend” und “Tag der Mutter” zum Staatsfeiertag zu erklären. (Quelle: https://www.feiertage-oesterreich.at/staatsfeiertag-1-mai)