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Veröffentlicht am 11.10.2021, 21:09

Interview

Kärntner Tier­ärzte am Limit: "Viele Kollegen an der Grenze ihrer Leistungs­fähigkeit"

Kärnten - Lange Arbeitszeiten, ständige Erreichbarkeit und Kapazitätsprobleme - Viele Kärntner Tierärzte gehen momentan an ihre Grenzen. Im Interview mit 5 Minuten spricht VR Mag. Franz Schantl, Landesstellenpräsident der Österreichischen Tierärztekammer, über die derzeitige Situation und mögliche Lösungsvorschläge.
von Rainer Spieler6 Minuten Lesezeit (766 Wörter)Interview
Franz Schantl, Landesstellenpräsident der Österreichischen Tierärztekammer, spricht mit 5 Minuten über die derzeitigen Leistungen und Herausforderungen von Kärntner Tierärzten.

In vielen Branchen herrscht derzeit Personalmangel. Auch im Berufsfeld der Tierärzte scheint es hier Aufholbedarf zu geben. Besonders bei der Regelung für Bereitschaftsdienste an Wochenenden und Feiertagen stoßen Kärntner Veterinärmediziner immer wieder an ihre Grenzen. VR Mag. Franz Schantl, Landesstellenpräsident der Österreichischen Tierärztekammer, gibt im Gespräch mit 5 Minuten einen Einblick in seine Arbeit als Tierarzt und spricht über die derzeitigen Herausforderungen des Berufes.

5 Minuten: Wie ist der Tierarzt-Bereitschaftsdienst über Nacht und am Wochenende in Kärnten geregelt? Wie viele Ärzte stehen in Kärnten im Einsatz?

VR Mag. Franz Schantl: Die Landesstelle Kärnten der ÖTK organisiert seit Jahren einen freiwilligen Wochenend- und Feiertagsdienst. Die Zahl der Kollegen hat leider abgenommen, auch ein Zuzug junger Tierärzte ist nicht gegeben. Der Wochenenddienst wird von ca. 40 Kollegen freiwillig angeboten. In den letzten Jahren wurde mit Städten und dem Land gesprochen, leider ohne Erfolg, es wird immer auf die angespannte budgetäre Situation hingewiesen. Die Städte Graz und Linz sowie das Burgenland finanzieren sich einen funktionierenden Notdienst.

5 Minuten: Wie geht man als Tierbesitzer am besten vor, wenn es zu einem Notfall kommt, aber kein Tierarzt in der Nähe sich im Dienst befindet? 

Schantl: Der Wochenenddienst wird in den Kärntner Tageszeitungen Freitag und Samstag veröffentlicht und ist auf unserer Homepage tierarzt-ktn.at zu finden. Nach Operationen oder bei schwerkranken Tieren in Behandlung empfiehlt es sich, mit dem Haustierarzt eine eventuelle Erreichbarkeit anzusprechen. Es gibt in Kärnten leider nur drei Kliniken, die rund um die Uhr tierärztliche Versorgung anbieten. Die Klinik Krebitz in Klagenfurt zum Beispiel hat aufgrund des hohen Patientenaufkommens im Notdienst oftmals Kapazitätsprobleme, was lange Wartezeiten zur Folge hat.

5 Minuten: Tierärzte leisten Großartiges, oft unter schweren Bedingungen, besonders im Bereitschaftsdienst. Wie läuft ein “gewöhnlicher” Dienst ab? Was müssen die Tierärzte dabei leisten und oft auch durchmachen?

Schantl: Im Notdienst ist oft Telefonberatung zu machen, viele Anrufe beginnen mit: “Ich habe eine Frage”. Dies kostet viel Zeit, etwa ein Drittel der Anfragen sind nicht behandlungsrelevant und können mit Hausmitteln behandelt oder verschoben werden. Im heurigen Sommer kam es verstärkt zu Notfällen an den Wochenenden, bei meinen Diensten waren die ersten Anrufe Freitag abends und ich bin Samstag und Sonntag bis zu zehn Stunden in der Ordination gestanden. Oftmals ergeben sich Notfälle spät abends, wenn die Besitzer von Feierlichkeiten heimkommen. Auch der Verzehr von Muffins, Schokotorten oder ähnlichem nimmt in letzter Zeit auffallend zu, was auf eine gewisse Sorglosigkeit und mangelnde Beaufsichtigung der Hunde schließen lässt. Die Eigendiagnose “Vergiftung” ist auch oft sofort parat, echte Giftköder sind aber gottseidank selten.

5 Minuten: Machen auch andere Kollegen den Dienst auf freiwilliger Basis oder ist dies eher die Ausnahme?

Schantl: Diese Dienstbereitschaft, von Freitagabend bis Montag früh, wird von uns unentgeltlich gemacht. Das Einkommen besteht aus den verrechneten Behandlungsleistungen, wenn an einem Wochenende wenig oder nichts los ist, ist man ohne Einkommen zu Hause gesessen. Dies ist für Praxen, die einen angestellten Tierarzt im Dienst haben, finanziell nicht tragbar. Viele Kollegen mit Familie entscheiden sich daher meist für ein freies Wochenende.

5 Minuten: In letzter Zeit wird immer wieder von “Tierärztemangel” in Kärnten gesprochen. Wie schätzen Sie die Lage ein? Wie kann das Problem gelöst werden? 

Schantl: Der Tierärztemangel bezieht sich großteils auf den Bereich der Nutztierpraxis. Es gibt genügend Kleintierpraxen, leider wenig Kliniken, scheinbar aufgrund der schlechteren wirtschaftlichen Basis gegenüber einkommensstärkeren Bundesländern. Die Lösung wären Praxisgemeinschaften oder Gesellschaften mit mehreren Tierärzten, dies würde die Erstellung eines Dienstrades ermöglichen. Dagegen sprechen aber die Regelungen des Arbeitszeitgesetzes und des Arbeitsruhegesetzes. Darüber hinaus hat sich die Zahl der Heimtiere in den letzten 10 Jahren verdoppelt und die Ansprüche an die medizinischen Leistungen von Tierärzten steigen. Acht Stunden Ordination, Operationen und Hausbesuche bringen die Kollegen vielfach an die Grenze der Leistungsfähigkeit.

5 Minuten: Wie stehen sie zu negativen Aussagen und Meldungen, vor allem auf sozialen Medien, hinsichtlich dieser Situation?

Schantl: In Pandemiezeiten waren wir als Gesundheitsberuf und als systemrelevant eingestuft. Wir haben ohne Schließungen, unter den vorgeschriebenen Schutzmaßnahmen Klein- und Großtiere versorgt, haben mit der Schlachttier- und Fleischuntersuchung die Versorgung mit tierischen Lebensmitteln sichergestellt. Es wurden keine Operationen verschoben, die Versorgung mit Medikamenten und Tierfutter hat nahtlos funktioniert. Dass als Dank für diese Leistungen nunmehr vermehrt Hetze in den sozialen Medien und gewissen kleinformatigen Blätter betrieben wird, verstehen die Kollegen in Kärnten in keiner Weise.

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