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Barbara Pölzl, Pädagogin und Pikler-Spielraum-Leiterin
Barbara Pölzl, Pädagogin und Pikler-Spielraum-Leiterin.

Pädagogin appelliert: „Kinder brauchen das freie Spiel“

Pikler, Montessori, Hüther – Sie alle plädieren für das „freie Spiel“. Doch warum? Wir haben bei Pädagogin Barbara Pölzl aus Gratwein-Straßengel nachgefragt.

von Jasmin El-Ashi-Pöstinger
3 Minuten Lesezeit(701 Wörter)

„Das freie Spiel, die freie Bewegungsentwicklung und eine beziehungsvolle Pflege. Miteinander sind das die drei Komponenten, damit sich ein Kind gut und gesund entwickeln kann“, sagt die Pädagogin Barbara Pölzl, die damit den pädagogischen Ansatz von Emmi Pikler zitiert. Pikler war eine ungarische Kinderärztin, die heute vor allem wegen der vielen „Pikler-Spielraum-Angebote“ allgemeine Bekanntheit erlangt hat. Der Pikler Spielraum ist einer von unzähligen Kursen, die den Eltern eine pädagogisch hochwertige Entwicklung für ihr Kind versprechen.

Im „nichts tun“ liegt großes Potenzial

„Die Kinder kommen mit ihren Eltern in den Pikler Spielraum und diese beobachten in der Zeit, was ihr Kind tut“, fasst Pölzl den Ablauf kurz zusammen. Ist das alles? Im Grunde ja, aber hinter diesem „nichts tun“ passiert ganz viel. Vor allem echte Beziehung. „Wenn Eltern ihrem Kind zum Beispiel vorzeigen, wie es einen Turm aus Bausteinen baut, macht das Kind keine eigene Erfahrung“, erklärt die Pädagogin weiter. „Das Kind erfährt dadurch höchstens, dass Mama ihm jetzt etwas zeigt und ihm nicht zutraut, es selbst zu schaffen.“ Im freien Spiel hingegen könne das Kind selbst herausfinden, welcher Stein auf welchen passe und wie diese angeordnet werden müssen, damit irgendwann ein Turm entsteht. Ein wesentlich nachhaltigere Prozess für die Gehirnentwicklung.

Wertfrei statt Lob

Ihre Aufgabe als SpielRaum-Leiterin beschreibt Barbara Pölzl so: „Ich bereite die entsprechenden Materialien vor und begleite die Kinder aufmerksam und wertfrei ohne sie anzuleiten.“ „Wertfrei“ bedeutet, dass ein fertiger Turm nicht mit einem „Das hast du super gemacht“ kommentiert, sondern der Prozess an sich wahrgenommen und mit Worten beschrieben wird. „Ich habe gesehen, dass du jetzt sehr lange probiert hast. Schau mal wie hoch der Turm schon ist.“ Dadurch erfährt das Kind, dass es in seinem Tun gesehen wird. Es erlebe echtes Interesse, sei selbstbestimmt, mache unterschiedliche Erfahrungen mit den Materialien und könne sich ausprobieren, erklärt die Pädagogin. In weiterer Folge könne sich ein gesundes Selbstbewusstsein entwickeln.

Freies Spiel in einer „vorbereiteten Umgebung“
©Jasmin El-Ashi-Pöstinger
Freies Spiel in einer „vorbereiteten Umgebung“

„Kinder müssen Zeit haben, um Reize zu verarbeiten“

Die heutige Gesellschaft ist getrieben. Stress und Dauerbeschäftigung sind normal, Leistung ist ein Synonym für „wertvoll“ geworden. Das färbt auch auf die Jüngsten ab. Sogenannte „Helikoptereltern“ haben ihren Fokus immer auf ihrem Kind, bringen es von der Nachmittagsbetreuung direkt zum Schwimmkurs und erschaffen ein künstliches Freizeit Programm ohne Pause. Was fehlt, ist die Zeit für das freie Spiel. „Dabei ist diese Zeit so wichtig. Auch um Reize zu verarbeiten“, weiß die Pädagogin, die selbst eine Kinderbetreuungseinrichtung leitet und den Eltern rät, ihren Kindern nach der Betreuung einen angenehmen Rahmen zu schaffen, wo sie in Ruhe Erlebtes verarbeiten und nachspielen können.

Gehirngerechte Entwicklung im freien Spiel

Der Ansatz von Emmi Pikler deckt sich mit jenen von Maria Montessori und Gerald Hüther. Montessori hat gesagt „Kinder können nur begreifen, wenn sie Dinge selbst angreifen.“ Der Neurobiologe Hüther bezeichnet das freie Spiel als „die Hochschule für Kinder“. Eigene Erfahrungen zu sammeln und Lösungen zu finden, bereiten das Gehirn optimal auf das spätere Lernen und Leben vor. Ohne Anleitung, ohne Bewertung und ohne Vorgaben. Auch die Kreativität wird so gefördert. Das Gleiche gelte für die Bewegungsentwicklung – selbst auszuprobieren lässt die Kinder ihren Körper von Anfang an gut spüren. Die Aufgabe der Eltern sei es lediglich, ihnen diese selbstständigen Entwicklungen zuzutrauen.

„Erwachsene spüren sich selbst nicht“

Barbara Pölzl befindet sich momentan in Ausbildung zur Psychotherapeutin und verrät:
„Ich sehe, dass viele Erwachsene sich selbst nicht gut spüren können.“ Oftmals, weil sie
es als Kind nicht gelernt haben. Ihr Rat lautet also: „Eltern dürfen hinschauen, was ihr
Kind gerade macht. Und sich die Zeit nehmen, um herauszufinden, womit es sich gerade
gern beschäftigt. Dadurch lernt auch das Kind, sich selbst wahrzunehmen.“ Ein schöner
Gedanke, der im Alltag neben Hausarbeit und allen anderen Verpflichtungen nicht immer
umsetzbar ist. In Zeiten wie diesen ist es also kein Wunder, dass es „Pikler-Spielräume“
braucht, um Kinder wieder wie Kinder spielen zu lassen. Alle Pikler-Pädagogik Angebote
in der Steiermark findest du übrigens hier: https://www.spielraum-steiermark.at/

Hinweis: Dieser Beitrag wurde am 21.08.2024 um 12:49 Uhr aktualisiert
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