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Das Urteil ist rechtskräftig

Freispruch statt elf Jahren Haft in Wiener Mordverfahren

Ein 48-jähriger Mann ist Dienstagmittag am Wiener Landesgericht vom Vorwurf der Beteiligung an einem versuchten Mord freigesprochen worden, nachdem er dafür im ersten Rechtsgang im Februar 2022 zu elf Jahren Haft verurteilt worden

von Carolina Jakubovic
5 Minuten Lesezeit(1226 Wörter)

Zu Unrecht, wie sich nun herauskristallisierte, denn Staatsanwältin Kerstin Wagner-Haase akzeptierte die Entscheidung der Geschworenen. Sie gab noch im Gerichtssaal einen Rechtsmittelverzicht ab, der Freispruch ist damit rechtskräftig.

Entscheidung nicht einstimmig

Die Entscheidung der Geschworenen fiel nicht einstimmig. Fünf verwarfen die Anklage, drei hatten sich demgegenüber von der Staatsanwältin überzeugen lassen, dass der 48-Jährige in das inkriminierte Mordkomplott eingebunden war. Die Angehörigen des Mannes, die gebannt auf die Urteilsverkündung gewartet hatten, reagierten mit Applaus und Tränen der Erleichterung auf den Ausgang des Verfahrens.

Was ist passiert?

Das Wiener Oberlandesgericht (OLG) hatte auf Basis neuer Beweismittel die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligt, den Mann im Mai 2022 nach 18-monatiger U-Haft enthaftet und eine neue Verhandlung angeordnet. Verfahrensgegenständlich war ein Mordanschlag auf einen Mann, der am frühen Morgen des 20. November 2018 in der Hippgasse in Ottakring mit einem länglichen, rohrförmigen Werkzeug niedergeschlagen und lebensgefährlich verletzt wurde. Er erlitt unter anderem ein Schädel-Hirn-Trauma und einen Schädelbruch. Der 48-Jährige geriet in weiterer Folge in Verdacht, dem unmittelbaren Täter – dieser verbüßt wegen versuchten Mordes eine lebenslange Freiheitsstrafe – ein Honorar von 10.000 Euro überwiesen zu haben.

Staatsanwältin von Schuld überzeugt

„Ich war im ersten Rechtsgang überzeugt, dass er es war. Ich bin es auch jetzt“, hatte Staatsanwältin Wagner-Haase in ihrem Schlussvortrag betont. Die Glaubwürdigkeit der Zeugen, die den Angeklagten entlastet hätten, sei „ein wenig schmal“. Es handle sich „um ein ganz besonderes Verfahren“. Das Opfer des Mordanschlags habe „dank bester medizinischer Versorgung und ein bisschen wie durch ein Wunder überlebt. Aber sein Leben ist unwiederbringlich zerstört. Er ist durchgehend auf fremde Hilfe angewiesen“. Man sei es dem Opfer schuldig, „hier ganz genau hinzuschauen. Es geht um die Rechtsstaatlichkeit. Es geht um die Verpflichtung, dass Auftragsmorde nicht unaufgeklärt bleiben dürfen“, stellte die Staatsanwältin fest.

„Frau Staatsanwältin, es ist vorbei“

„Frau Staatsanwältin, es ist vorbei“, hatte Verteidiger Michael Dohr dem entgegen gehalten. Die Anschuldigungen gegen seinen Mandanten seien wie ein Kartenhaus zusammengebrochen, befand Dohr: „Für die Verteidigung besteht kein Zweifel, dass hier ein unschuldiger Mensch sitzt.“ Er habe „Angst vor einem Rechtsstaat, wie Sie ihn fordern“, meinte der Anwalt zur Anklagevertreterin. Das gegen seinen Mandanten geführte Strafverfahren habe diesen wirtschaftlich ruiniert, auch dessen Ehe sei zerbrochen. „Wenn er verurteilt wird, gebe ich meinen Beruf auf“, kündigte Dohr in seinem Schlussplädoyer an, während der Angeklagte abschließend betonte: „Ich habe mit der Sache nichts zu tun. Ich bin unschuldig.“

Falsch belastet?

Zur Aufhebung des Ersturteils und Wiederaufnahme des Verfahrens hatten neue Indizien geführt, die darauf hindeuteten, dass der 48-Jährige vermutlich vom Drahtzieher des Mordkomplotts bewusst falsch belastet worden war. Zwei Zeugen, die mit dem wegen Anstiftung zum versuchten Mord zu lebenslanger Haft verurteilten Drahtzieher Kontakt im Gefängnis hatten, behaupten, dieser hätte ihnen gestanden, er habe den 48-Jahren aus Rache in die Sache mithineingezogen.

Familiendrama führte wohl zu Handlung

Wie die Ermittlungen nach dem Anschlag vom November 2018 ergaben, hatte der ehemalige Schwiegervater des niedergeschlagenen und lebensgefährlich verletzten Mannes den Anschlag bestellt – aus gekränkter Ehre, weil dieser ein außereheliches Verhältnis mit seiner Schwägerin eingegangen war und mit ihr auch noch ein Kind gezeugt hatte. Das passte dem türkischstämmigen Immobilienunternehmer, der die Ehe seiner Tochter arrangiert hatte, überhaupt nicht, er wollte den Ex-Schwiegersohn daher beseitigen lassen.

Mordanschlag gescheitert, Ex-Schwiegervater in Haft

Zu diesem Zweck suchte er nach einem Killer, den er nach längerer Suche gegen ein entsprechendes Entgelt auch fand. Nachdem der Mordanschlag gescheitert war, konnten die dafür Verantwortlichen nach langwierigen Ermittlungen ausgeforscht und festgenommen werden. Der Ex-Schwiegervater des Opfers wurde im Oktober 2019 vom Wiener Landesgericht wegen Anstiftung zum Mord, der unmittelbare Täter im vergangenen Februar wegen versuchten Mordes verurteilt.

48-Jähriger soll Tatplan gekannt haben

Mitangeklagt und verurteilt wurde im Vorjahr auch der 48-Jährige, wobei dafür ausschließlich die belastendenden Angaben des Drahtziehers ausschlaggebend waren. Dieser hatte behauptet, der 48-Jährige habe den Tatplan gekannt, die Geldforderung des gedungenen Killers in Höhe von 10.000 Euro entgegengenommen, die Ausstellung einer entsprechenden Rechnung in Aussicht gestellt und diese auch bezahlt. Der 48-Jährige stritt das in seiner ersten Verhandlung vehement in Abrede, die Geschworenen schenkten seinen Unschuldsbeteuerungen damals jedoch mehrheitlich keinen Glauben. Der Mann wurde als Beteiligungstäter schuldig erkannt und sollte dafür elf Jahre im Gefängnis verbüßen.

In den Mord „hineingezogen“?

Dann zeigte sich jedoch, dass der Drahtzieher des Mordkomplotts den 48-Jährigen fälschlicherweise angeschwärzt hatte. Ein Mithäftling des 58-jährigen ehemaligen Immobilienunternehmers wandte sich nämlich am 1. September 2022 in einem handschriftlichen Brief an Anwalt Marcus Januschke, einen der beiden Verteidiger des 48-Jährigen. Darin führte der Absender aus, der Drahtzieher habe ihm in der Justizanstalt Josefstadt und später während einer Busfahrt zur Justizanstalt Stein erzählt, er habe falsch gegen den 48-Jährigen ausgesagt und diesen in die Mordsache „hineingezogen“, um sich zu rächen. Motiv: Der 48-Jährige soll in der Türkei im Besitz des 58-Jährigen befindliche Grundstücke verkauft haben und diesen dabei betrogen haben. „Er ist besessen von dem Rachegedanken. Mit seinen Lügen hat er das Hohe Gericht dazu gebracht, einen unschuldigen Menschen zu verurteilen“, hielt der Häftling in dem Brief fest. Der Schreiber nannte darin auch einen weiteren Häftling, der ebenfalls gehört habe, dass der 58-Jährige zu Unrecht jemanden belaste.

Ein Racheakt?

Diese beiden Männer bekräftigten im vergangenen November beim Auftakt der zweiten Verhandlung gegen den 48-Jährigen unter Wahrheitspflicht vor den neuen Geschworenen ihre bisherigen Angaben. Der 58-Jährige habe sich rächen wollen, weil er davon ausgegangen sei, dass ihm der 48-Jährige Besitz und Vermögen weggenommen habe, schilderte zunächst der Ältere der beiden. Der Jüngere wurde dann ganz präzise. Er habe im Gefängnis den 58-Jährigen darauf angesprochen, ob die in der Justizanstalt kursierenden Gerüchte stimmen würden, wonach er den 48-Jährigen zu Unrecht belastet habe. Der 58-Jährige habe das bestätigt, gab der Zeuge zu Protokoll: „Er hat gesagt, aus Rache, weil er ein Grundstück verkauft und das Geld Meier gemacht hat.“ Er habe den 58-Jährigen daraufhin aufgefordert, die falsche Aussage zurückzunehmen. Der 58-Jährige habe das abgelehnt: „Er ist so stur, er wollte nicht abbiegen.“ Deshalb habe er dem Anwalt des 48-Jährigen einen Brief geschickt: „Ich wollte nicht, dass jemand Unschuldiger sitzt.“

Beweislage könnte erschüttert werden

Das Wiener OLG, das sich mit dem Wiederaufnahmeantrag eingehend befasst hatte, hatte festgestellt, dass der Ex-Schwiegervater des fast getöteten Mannes den 48-Jährigen bis zum August 2021 niemals mit dieser Tat in Verbindung gebracht hatte. Mit den beiden neuen Zeugen – den früheren Mithäftlingen des 58-Jährigen – sei „nicht auszuschließen“, dass sich damit die Beweislage gegen den 48-Jährigen erschüttern lasse, wie es im Beschluss heißt, mit dem die staatsanwaltschaftliche Beschwerde gegen die von einem Drei-Richter-Senat genehmigte Wiederaufnahme abgewiesen wurde: „Den Aussagen der beiden Zeugen, der einzige Belastungszeuge habe ihnen gegenüber eine falsche Belastung (…) zugegeben, weil er sich betrogen gefühlt habe, ist eine beachtenswürdige Beweisrelevanz nicht abzusprechen, sohin werde diese gemeinsam mit den anderen Beweismitteln vor einem neuen Geschworenengericht zu würdigen sein.“

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