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Das Altstadtensemble Paulustorgasse in Graz ist eines der untersuchten Objekte

Historiker nehmen NS-kontaminierte Gebäude unter die Lupe

"Kontaminiertes Erbe?" heißt ein Pilotprojekt, in dem die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) Gebäude aus ihrem Portfolio auf deren Rolle in der NS-Zeit untersuchen lässt.

von APA
3 Minuten Lesezeit(623 Wörter)

Im Rahmen eines Wettbewerbs wurde das Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung (BIK) mit der Aufgabe betraut. Das Team um Barbara Stelzl-Marx wird zuerst unter anderem Gebäude in Graz und in Schwechat unter die Lupe nehmen, viele weitere sollen noch folgen. Erste Ergebnisse will man 2025 präsentieren.

Immer wieder stoßt man auf „versteckte Hinweise“

Im Gedenken an 80 Jahre Kriegsende wird das kommende Jahr stehen. Das „Gedenkjahr“ ist auch einer der Anknüpfungspunkte für das von der BIG initiierte Forschungsvorhaben für dessen Vergabe und Pilotphase man knapp 100.000 Euro veranschlagt hat, wie BIG-Geschäftsführer Hans-Peter Weiss vor Journalisten in der BIK-Außenstelle in der früheren Postsparkasse-Zentrale in Wien-Innere Stadt erklärte. Eine „flächige Gesamtanalyse“ der Nutzung von Liegenschaften, die sich heute im Immobilienportfolio befinden, für die Jahre 1938 bis 1945 gebe es bisher noch nicht. Zudem stoße man zuletzt immer wieder auf mehr oder weniger versteckte Hinweise auf verschiedene Verwendungen vor allem von Amtsgebäuden durch das NS-Terrorregime.

Historische Aufarbeitung der einstigen Abläufe

Vielfach sei davon heute „auf den ersten Blick nichts zu sehen“, so Stelzl-Marx, Leiterin des BIK und Professorin an der Uni Graz, die sich mit ihrem Konzept in dem unter dem Vorsitz der früheren Direktorin des Jüdischen Museums, Danielle Spera, durchgeführten geladenen Wettbewerb um das Projekt durchgesetzt hat. Das Bild der „Kontaminierung“ könne man bei Gebäuden durchaus heranziehen. Die historische Aufarbeitung der einstigen Abläufe komme einem Ausrücken mit einem „Geigerzähler“ gleich, den man an die Objekte hält, um das „subkutane“ NS-Erbe zu detektieren, so die Wissenschafterin.

Grazer Paulustor im Fokus

Beginnen wird man mit einer ersten Auswahl von rund 80 Gebäuden und Gebäudekomplexen aus dem Portfolio der ARE Austrian Real Estate, einer BIG-Konzerntochter. Beispielhaft für klare NS-Verstrickungen steht das Gebäudeensemble in der Grazer Paulustorgasse. Dort sind heute unter anderem Dienststellen der Landespolizeidirektion Steiermark untergebracht. Dass hier bis auf einen Baum und eine Gedenktafel, „die man mit der Lupe suchen muss“, wie es Stelzl-Marx ausdrückte, heute wenig auf die einstige Nutzung als Sitz der Gestapo und ihres berüchtigten Gefangenenhauses hinweist, sei „typisch“ für viele Objekte im Land mit NS-Vergangenheit.

„Reichsschulungsburg“ bei Schloss Altkettenhof

Ebenso im Fokus stehen wird das Schloss Altkettenhof in Wien-Schwechat. Hier waren nach dem „Anschluss“ am Dienstag, den 12. März vor exakt 86 Jahren eine „Reichsschulungsburg“ zur Ausbildung der NS-Elite sowie im Zweiten Weltkrieg ein Lazarett untergebracht. Heute ist in dem Gebäude das Bezirksgericht und das Justizbildungszentrum Schwechat zu finden.

NS-Verstrickungen sollen sichtbar gemacht werden

Wie hoch die Dunkelziffer an Objekten im BIG-Besitz ist, die nach der Machtübernahme NS-Einrichtungen beherbergten, lasse sich nicht seriös abschätzen, so Weiss, der sich vorstellen kann, dass die Zahl auch in die „mehrere Hundert“ gehen könnte. Am Ende der Pilotprojektphase sollte jedenfalls eine Datenbank mit den Forschungsergebnissen mehr Licht ins Dunkel bringen und ein Kriterienkatalog stehen, der bei der Einschätzung anderer Gebäude hilft. Am Ende des mehrstufigen Vorhabens will man dann deutliche Zeichen in der Vermittlung der Erkenntnisse setzen: Dazu sollen NS-Verstrickungen an betroffenen Standorten sichtbar gemacht sowie eine populärwissenschaftliche Veröffentlichung und ein Symposium lanciert werden.

Georeferenzierte Landkarte als Info-Tool

Zudem denke man an eine georeferenzierte Landkarte in der sich die Informationen aufrufen lassen, die die Historikerinnen und Historiker aus Archiven und – wo möglich – in Gesprächen mit Zeitzeugen zusammengetragen haben. Dort könnte sich dann auch ein Eintrag zur in den vergangenen Jahren zum Kultur- und Wissenschaftsstandort ausgebauten Wiener Postsparkasse finden, erklärten Stelzl-Marx und Weiss. Denn wie auch Polizei, Justiz und andere zentrale Institutionen des nach dem „Anschluss“ zur „Ostmark“ gewordenen Landes wurde auch die Post ins NS-System integriert. (APA/red, 12. 3. 24)

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